Worum geht es?
Die Website des estnischen Anbieters Envestio ist seit mehr als einem Tag offline. Das Management reagiert und kommuniziert nicht. Im Gegenteil, verschiedene Social Media Profile von Team Mitgliedern wurden gestern gelöscht.
Envestio bewarb seit Frühjahr 2018 Firmenkredite verschiedenster Art (Krypto, Immobilien, Warenfinanzierung). Die Zinssätze für Anleger lagen bei hohen 15-20%. In der Anfangszeit lagen die Kreditbeträge pro Projekt bei rund 100-300 Tsd Euro, später wurden sie deutlich höher. Die Plattform wurde formell von der estnischen Firma Envestio SI OÜ betrieben, das Management bestand aber aus Letten. Kurz nach dem Start wurde eine ‚Repurchase Guarantee‘ verkündet, das Management versprach Anlegern auf Wunsch Kreditanteile vorzeitig zurückzukaufen, gegen eine Gebühr von 5%.
Nach Zahlen von der Envestio Website, bevor diese offline ging, wurden rund 33 Mio. Euro Anlegergelder eingesammelt von rund 13.000 Anlegern. Eine Analyse des Webtraffics, die vermutlich mit der Anlegerverteilung korreliert zeigt, dass die meisten Anleger aus Italien, Dänemark, Spanien, Deutschland und Portugal stammen.
Die Entwicklung schien für Envestio gut zu laufen. Ich hab nie investiert, da mir das Risiko bei den Projekten viel zu hoch erschien, völlig jenseits meiner Risikobereitschaft, aber niemand vermutete einen Betrug.
Im Sommer 2019 verkündete die Plattform, sie sei an einen neuen Eigentümer verkauft worden. Seltsam war, dass keine plausiblen Gründe für den Verkauf genannt wurden und das wenig bis nichts über den neuen Eigentümer, seine Motivation und seine Absichten bekannt wurde. Es gab im Prinzip nur ein Linkedin Profil.
Dann tauchten am 18. Dez. plötzlich Hinweise von einem anonymen Twitter Account (@rpeerduck) auf, die eine deutliche Beteilung des neuen Envestio COO zu einem früheren Investment Scam zeigten. Das Video und die Links zeigten ihn, wie er Werbung für eine perpertuum Mobile Energiequelle machte. Diese Hinweise haben das Vertrauen vieler Anleger erheblich erschüttert.
Eine Email Stellungnahme des Envestio COO auf meine Anfrage dazu, erhielt ich am 20. Dezember, ich fand sie wenig überzeugend, sie enthielt m.E. eigentlich nur lahme Ausflüchte.
Dazu kommt, das bereits vorher einem Mitglied des Envestio Teams von der lettischen Presse Fehlverhalten in einem früheren Job vorgehalten wurde. Sie hat das in Stellungnahmen zurückgewiesen.
Alle diese Informationen und weitere Merkwürdigkeiten wurden in Foren, auf Twitter und Facebook diskutiert, scheinen aber die Anleger nicht abgeschreckt zu haben. Tatsächlich verteidigten noch vorgestern in Facebook Gruppen Anleger die Argumentation von Envestio. Im Zusammenhang mit dem Betrug bei der Firma Kuetzal kam es Anfang Januar zu einem Run, eine Vielzahl von Anlegern wollte die Rückkaufgarantie in Anspruch nehmen und sich ihr Geld auszahlen lassen. Auszahlungsverlangen, die bis zum Morgen des 12. Januars gestellt wurden, scheint Envestio nach Berichten von Anlegern auch noch bedient zu haben, danach erfolgten keine Auszahlungen mehr.
Vielmehr publizierte Envestio in den folgenden Tagen auf Facebook wilde Verschwörungstheorien und Anschuldungen und verkündete schliesslich Opfer einer DDOS Attacke zu sein (warum das nicht stimmen kann, steht hier). Seit 21. Januar ist Funkstille. Die Website ist offline.
Das European Crowdfunding Network ECN, eine Branchen-Lobby-Vereinigung meldete wegen zahlreicher Anlegeranfragen das Mitglied Envestio den Behörden.
Bereits im Dezember sprach P2P-Game öffentlich von Betrug.
Die Rückkaufgarantie
Ob es sich um einen Betrugsfall (engl. scam/exit scam) handelt, wird die Zeit zeigen. Paradoxerweise hat gerade die angebotene Rückkaufgarantie das Aus von Envestio beschleunigt. Diese führte letzlich zu einem Liquiditätsengpass. Ohne diesen Mechanismus hätte Envestio vermutlich noch länger operieren können. Wenn es sich um Betrug handelt, hätte er also möglicherweise noch wochenlang oder monatelang fortgesetzt werden können.
Einige andere Plattformen bieten auch eine Rückkaufgarantie gegen Gebühr an. Da stellt sich immer die Frage „Cui bono?“ und wie können die das finanzieren? Können sie nicht, oder nur so lange wie Schönwetterflug herrscht. Als Folge der Vorfälle bei Envestio verschickten Monethera und Wisefund gestern Emails, in denen sie sich von ihren gemachten Rückkaufversprechen distanzierten, bzw. diese widerriefen. Mal unabhängig von der Frage, ob so etwas rechtlich möglich ist, lässt dies zu ihrem Geschäftsmodell tief blicken.
Was bedeuted der Envestio Fall für die Zukunft?
Im Moment wird das Vertrauen ganz erheblich erschüttert. Zwar betrifft das nur ausgewählte Plattformen.
Aber erstmals wird eine größere Anzahl Anleger zeitgleich damit konfrontiert, dass P2P Kredite wirklich riskant sind, und dass das Risiko eines Totalverlustes droht. Und zwar nicht nur Anleger die auf der betreffenden Plattform investiert waren, sondern auch die, die das Thema interessiert verfolgen (Foren, Blogs, Twitter, Facebook).
Das wird zu einer gesunden Vorsicht führen. Es wird aber auch dazu führen, dass viele Anleger zu dem revidierten Schluß kommen, dass diese Anlageklasse über ihrer Risikobereitschaft liegt. Und so wird in beträchtlichem Umfang Geld abfliessen.
Das kann zu mehreren Effekten führen
a) Zinssätze für Anleger auf den Primärmärkten steigen in den nächsten Wochen
b) Angebot auf Sekundärmärkten wird deutlich umfangreicher und auch hier steigt das Zinsniveau
c) einige Kredite werden nicht mehr (so schnell) finanziert
d) generell wird sich Cash drag zumindest temporär reduzieren
Es gibt Plattformen mit soliden Geschäftsmodellen. Wenn Betrüger für ihre Anlageversprechen suggerieren, dass sie ähnlich funktionieren, schädigen sie die Reputation der Branche.
Was können betroffene Envestio Anleger tun?
Unkompliziert per Email Strafanzeige bei der estnischen Polizei stellen:email ppa@politsei.ee . Darin genau beschreiben, wie ihr geschädigt wurdet, Name, Anschrift und Belege mitschicken. Bei größeren Summen kann üüberlegt werden einen estnischen Anwalt einzuschalten (Beispiel einer Kanzlei die ich zu Informationszwecken kontaktiert hatte).
Nachtrag 23.01, 10:35: Eins der Teammitglieder hat gerade öffentlich ihre Unschuld/Unwissenheit in einem Posting bekundet (Infos).
Update 23.01., 14:51: Antwort der estnischen Polizei auf die Anfrage von P2P-Kredite.com: ‚In the past few days, the Estonian police have received several complaints regarding the crowdfunding platform Envestio. We are currently working to specify all details, but there is no investigation underway. However, if signs of crime do surface, we will start an investigation.
Head of the Fraud and Economic Crime Division of North Prefecture Juhan Ojasoo: „Not every unsuccessful investment is fraud, however, if one really believes they have been deceived, we encourage to get in touch with us.“. A statement can also be submitted via e-mailing ppa@politsei.ee and describing the case in as much detail as possible. We ask to provide contact details, amount of money lost, dates for transacations etc.
We also advise checking the Estonian Financial Supervision and Resolution Authority website for alerts prior to investing in any company: https://fi.ee/en/alerts.‘